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Ein Jahr Corona: Was uns trägt

Publiziert am 01.02.2021  von Martina Helms-Pöschko

„Nichts ist entspannter, als das anzunehmen, was kommt.“ (Dalai Lama) – Das ist leichter gesagt als getan. Trotzdem können wir das nach einem Jahr Corona-Pandemie bestätigen: Mit dieser grundsätzlich positiven und zuversichtlichen Einstellung können wir diese herausfordernde und kräftezehrende Zeit in einem guten Miteinander zusammen durchstehen. Blicken wir zurück:

März 2020: Schließung von allen Kindergärten und Schulen  – und nun?

Ich glaube, an diese Nachricht kann sich wirklich jeder in unserem Land erinnern, verbunden mit tausend Fragen, Ängsten, Sorgen und Nöten: Widersprüchliche Aussagen von Politikern, Virologen und  Epidemiologen verunsichern viele Verantwortliche in Schulen und Kindergärten. Uns bewegen die Fragen: Wie können wir Ängste nehmen und Zuversicht schenken? Keiner von uns kennt dieses Virus, keiner kennt die Folgen, keiner kennt den Verlauf. Die Reise in ein unbekanntes Gebiet beginnt.

Erster Lockdown und Notbetreuung

„So bleiben wir gesund!“ – Das ist unser Motto in unserem Kindergarten. Schnell sind sich alle Mitarbeiterinnen des Hauses einig, dass wir den Kindern Sicherheit, Geborgenheit, Nähe und eine positive Haltung entgegenbringen möchten. Auch für die Eltern möchten wir eine Anlaufstelle bleiben bei anstehenden Fragen, Sorgen und Nöten. Dabei vergessen wir aber auch unsere eigenen Unsicherheiten, Sorgen, Ängste und Nöte nicht. Was tun wir also?

Für die Kinder und Eltern im Haus: Wir erstellen ein Konzept für die Kinder und Eltern: Mit Eselchen „Zippora“, einer lieb gewonnenen Figur aus dem Kindergartenalltag (bekannt aus dem beliebten Buch „Kommt, wir entdecken das Kirchenjahr“)  wird ein anschaulicher Parcours mit den notwendigen Regeln erstellt. Die Eselin führt und begleitet uns alle durch die Hygieneregeln, die in den Kindergarten kommen: Kleine Leute waschen sich die Hände, bevor sie in den Gruppenraum kommen, große Leute desinfizieren ihre Hände und verabschieden die Kinder vor der Gruppentür. Kleine charmante Hinweisschilder von Zippora begleiten die großen Leute aus dem Haus. Somit werden die Regeln schnell verstanden und auch sehr gut von allen umgesetzt.



Für die Mitarbeiterinnen im Kindergarten ist das oberste Ziel: Die Kinder sollen sich wohlfühlen, einen sehr guten Platz in unserem Haus bekommen und sich somit weiterhin gut entwickeln können, dabei mit ihren Freunden viel Spaß, eine gelungene Gemeinschaft und sehr viel  Freude erleben. Dies ist möglich in der Außenmatschküche: kochen, backen, matschen nach Herzenslust. Mit Wasser, Erde, Moos, Stöcken und Sand werden die schönsten Kuchen und Aufläufe gezaubert. An der Werkbank  wird mit hochroten Bäckchen gesägt, gehämmert, geleimt und geschliffen. Das Ergebnis kann sich immer sehen lassen, es entstehen Tiere und Autos, kleine Türme und auch Boxen für Krimskrams. Weiter geht es am Bienenhotel und  am Bienenstreifen: Es werden kleine Stöcke gesucht und in das Hotel gesteckt, am Bienenstreifen werden neue Blumen gesät oder gepflanzt. An der Sinnesmauer kann gekocht und geklettert, gebaut und gebuddelt werden. Das sind unbeschwerte Stunden.

Frühlingstüten, Kinderpost, Eltern-Kind-Telefon

Aber wie erreichen wir die Familien, Eltern und Kinder, die in dieser Zeit nicht ins Haus kommen? – Wir bieten „Frühlingstüten“ zum Abholen an, mit einer Fülle an Spiel- und Bastelideen für die Familien daheim. Aus dieser Aktion wächst die Idee der "Kinderpost": Jede Woche erhalten die Kinder Post vom Kindergarten mit kleinen Bastel- und Spielideen, Liedern, Geschichten und auch mal kleinen Spielen oder Büchern  aus dem Kindergarten. Auch Zippora vergibt kleine Aufträge an die Kinder daheim: „Malt ein Bild und schickt es mir!“ – Es kommen sehr viele wunderschöne bunte Kunstwerke in den Kindergarten zurück, jedes Kunstwerk erhält einen Platz an unserer Pinnwand für kleine Künstler. Und später entdecken die Kinder in der Einrichtung ihre Bilder wieder.
„Wie schön, dass ihr euch so viel Mühe gebt, herzlichen Dank für die tolle Kinderpost!“ – Immer wieder erhalten wir Anrufe von den Eltern. Eine schöne Idee ist auch, dass die Familien Steine bunt anmalen und diese vor dem Kindergarten ablegen. So begrüßt noch viele Wochen später, als alle Kinder wieder kommen können, eine bunte Steinstraße die Ankömmlinge, die immer neue Kommentare dazu geben: „Ich habe den größten Stein von unserem Stückle bemalt.“ - „Mein Stein ist größer als die Hand vom Papa.“
Wir bieten ein Eltern-Kind-Telefon an, um mit den Familien  im Kontakt zu bleiben. Kinder rufen an und erzählen von ihrem Alltag: „Ich kann jetzt ganz schnell Fahrrad fahren und schwimmen“, erzählt Hannes stolz am Telefon. Lisa erzählt: „Ich habe stundenlange Wanderungen auf hohe Berge mit meiner Oma unternommen, das war voll schön.“ Max berichtet:  „Ich kann jetzt tauchen und Rollschuh fahren.“ Emma erzählt: „Mit meiner Oma backe ich die tollsten Kuchen.“
Herrlich, diese Geschichten, doch die Wehmut, die Kinder nicht zu sehen zu können, ist auch ein täglicher Begleiter unserer Arbeit.

Neustart im Frühsommer 2020

Zum Glück können im Frühsommer alle Kinder wieder kommen. Wir organisierten eine Woche für die Großen, die bald in die Schule gehen, mit tollen Aktionen: Experimente für kleine Forscher, „Buchstabensalat“, „Zahlenprojekt“, „Kochen und Backen wie die Profis“, Waldforschertage mit Kletterparcours und Bachwanderung. An all diesen Aktionen nehmen die Vorschulkinder mit sehr viele Neugier, Interesse, Spaß und Freude teil. Eine sehr schöne und stimmungsvolle Abschiedsfeier mit den Kindern und einem Elternteil rundet diese Woche für die Kinder ab. Diese Feier hätte ohne die Erlebnisse aus der Corona-Zeit so nicht stattfinden können. Wir alle sind dankbar, berührt und glücklich.

Elternarbeit

Trotz Corona laden wir die Eltern zu einem Elternabend ein. Uns ist es sehr wichtig, für die Eltern ein Forum zu bieten, an dem sie ihre Erlebnisse der vergangenen Corona-Monate erzählen können. Es wird ein Elternabend der besonderen Art: In einem sehr großen Kreis mit viel  Abstand  für die einzelnen Eltern (und mit Lüften) bringen die Eltern ihre  Erlebnisse, Sorgen, Nöte und Ängste im vertrauten Kreis in die Mitte. Das sind sehr berührende und sehr unterschiedliche Aussagen, die Atmosphäre ist sehr vertraut und die Eltern können sich öffnen. Es folgt eine Runde mit Wünschen und Erwartungen der Eltern an das Haus. Nur ein Wunsch und eine Erwartung steht dabei immer im Vordergrund: So bleiben wir gesund! – Mit Achtsamkeit, Respekt und einem guten Miteinander.

Wie geht es dem Team?

Für diese Fülle von Aufgaben und den Anspruch, dabei trotzdem ein Leuchtturm zu bleiben, darf ein Team sich Zeit nehmen. Wir planen und forschen: „Wie geht es mir?“ – „Wie geht es uns?“ – „Was möchten wir den Familien bieten?“ – „Was brauchen die Kinder, wenn sie zu uns kommen?“ – „Wo stecken die Herausforderungen?“

Winter 2020/2021: Neue Welle, neue Schließung und Notbetreuung

Die Herausforderungen nehmen zu. Wir brainstormen: „Wo stecken Chancen?“ – „Was können wir verbessern?“
Heute bieten wir den Kindern ein Märchenprojekt im Kindergarten  an und schicken zauberhafte  Märchenpost  mit einem Anschreiben nach Hause mit.
Das Thema „Corona“ wird in der Psychomotorik  im Haus aufgegriffenen mit durch Spiele und Stationen bearbeitet: „Fang den Virus!“, Krankenstation mit Behandlungsmöglichkeiten, Erfinderstationen mit Impf- und Beratungszimmer.
In  Malaktionen überlegen sich die Kinder, wie sie dem Virus begegnen können, auch im Freispiel wird das Thema diskutiert und von den Kindern durch verschiedene Spielideen bearbeitet. Dies erfordert von den Mitarbeiterinnen ein hohes Maß an guter Beobachtungsgabe. Außerdem dürfen die Rahmenbedingungen für die Kinder immer wieder neu geschaffen werden. Denn die Kinder bringen unterschiedliche Erfahrungen mit. Gespräche und Spiele, Malen und Gestalten helfen den Kindern, ihr inneres Fühlen nach außen zu bringen und auch über ihre Gefühle Ängste oder Sorgen zu sprechen. Gabriel erzählt zu seinem Bild: „Ich habe mich hinter eine Glaswand gemalt, und der Virus denkt, es kann da durch, doch ich bin schlauer, der kommt nicht zu mir, denn die Glaswand ist ein Panzerglas, jetzt strecke ich dem Virus die Zunge raus.“
Felix malt Abstand und Hygienemaßnahmen, um sich zu schützen. „Wenn wir uns gut waschen, dann passiert uns auch nix“, so lautet seine Aussage zu seinem Bild. Collin zeigt das Virus in einem großen Käfig: „Ich habe es gefangen, dann macht es niemanden mehr was.“

Und wieder: Kinder daheim!

„Scheiß Corona!“ ist ein oft gehörter Satz, wenn Gruppen getrennt werden oder nicht alle Kinder in den Kindergarten kommen können. Da hilft nur: Bastelideen, Gestaltungsideen für daheim, Märchen und Lieder, Fingerspiele, Rezepte und auch schon mal Blumensamen oder Samen für Feldsalat (Rapunzel!) passend zu den Märchen finden ihren Weg zu den Familien nach Hause. Zippora stellt wieder kleine Aufgaben an die Kinder (Ausmalbilder zu den Märchen) und wartet auf Antwort. So bleiben wir mit den Familien im Kontakt. Wer mag, kann uns immer anrufen.

Unsere Motivation: unsere Chance

Wir versuchen die Chance dieser Zeit zu sehen, die uns alle zum Stillstand verdonnert hat: die Chance, manches besser zu begreifen und neue Handlungswege zu finden. Ähnlich, wie es Maria Montessori schon ausdrückte: "Hab Geduld, meine Wege zu begreifen. Sie sind vielleicht länger. Vielleicht brauche ich mehr Zeit, weil ich mehrere Versuche machen will."
Ja, in der Tat, es ist eine besondere Zeit. In kleinen Gruppen sehr gute Beziehungsarbeit leisten zu können, erfüllt alle Mitarbeiterinnen im Team. Die Zeit für gelingende Beziehungen und die daraus entstehende Bildungsarbeit hat uns trotz allen Schwierigkeiten sehr positiv geprägt.
Wir alle hoffen, solche kleine Funken aus dieser Zeit in die Zeit nach der Pandemie hinüberretten. Wir sind überzeugt: In einem guten Dialog und in einem guten Miteinander kann sehr vieles sehr gut gelingen. Wenn sich Kinder wohlfühlen, dann entfalten sie sich wie eine Blume unter der sorgenden Hand eines Gärtners. Haben wir nicht den schönsten Beruf der Welt?!

Martina Helms-Pöschko, Erzieherin, Psychomotorikerin, systemische Familienberaterin, Fachreferentin für Religionspädagogin, leitet einen Kindergarten in Baden-Württemberg.

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