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Gerade eben hat die zweijährige Frieda ihrem Baby-Bruder den Schnuller wieder in den Mund gesteckt, nachdem er herausgefallen war. Einerseits könnte man glauben, sie wollte einfach selbst ihre Ruhe haben. Aber etwas anderes ist auch wahrscheinlich: Sie hat ihrem Bruder geholfen und ihn sogar damit getröstet.
Trösten, teilen, helfen – dies sind Verhaltensweisen, die man in der Fachsprache „prosoziales Verhalten“ nennt. Obwohl früher die weitläufige Meinung herrschte, dass kleine Kinder nur auf sich selbst achten, weiß man heute, dass prosoziales Verhalten sich bereits im zweiten Lebensjahr entwickelt. Dabei gibt es Kinder, die gerne teilen, und andere, die z.B. gut trösten können.
Kinder neigen zu prosozialem Verhalten, auch wenn sie selbst erstmal nichts davon haben. Sie fragen, ob jemand „okay“ ist, der traurig aussieht, bieten jemand anderem einen Keks an, der keinen hat, oder helfen bereits im Haushalt mit. Meist lässt sich dies nach dem ersten Geburtstag erstmals beobachten. Mit zunehmendem Alter wird das Verhalten aber immer ausgereifter: Kinder wägen öfter ab, ob sie sich der Person gegenüber prosozial verhalten möchten. Einer netten Person wird eher geholfen als einer fiesen Person. Mit jemandem, der auch teilt, wird eher geteilt, vor allem, wenn genug vorhanden ist. Für Eltern und Fachkräfte bedeutet dies, dass sie genau hinsehen und fragen sollten, warum ein Kind vielleicht mal nicht prosozial war.
Ab einem Alter von etwa 4 Jahren lernen Kinder gezielter, dass sie mit ihrem Verhalten das Verhalten anderer beeinflussen können. Erwachsene fühlen sich hier manchmal manipuliert, weil das Ziel so offensichtlich ist. Zum Beispiel helfen die Kinder erst beim Aufräumen, um dann sofort nach Süßigkeiten zu fragen. Dennoch sollte man milde bleiben: Für die Entwicklung sozialer Kompetenzen ist es ganz wichtig, dass Kinder sich bei ihren sicheren Bindungspersonen ausprobieren können. Man darf sie da auch ruhig mal gewinnen lassen – so erlangen sie wiederum Selbstbewusstsein und probieren sich weiter aus.
Obwohl Menschen prosoziales Verhalten in die Wiege gelegt wird, lohnt es sich, die Entwicklung zu unterstützen: Kinder eignen sich prosoziales Verhalten auf verschiedenen Wegen an:
Mit prosozialem Verhalten fängt vieles an, was später zur sozialen Kompetenz führen soll. Ein wichtiger Meilenstein ist hier, die Gefühle anderer zu erkennen und sich darin einfühlen zu können. Dies kann über den Kopf, sprich die Kognitionen, laufen. Beispielsweise beobachtet ein Kind einen traurigen Gesichtsausdruck, Tränen und Schluchzen und schließt daraus, dass jemand traurig ist. Es kann nun so trösten, wie man es allgemein bei traurigen Personen macht. Es kann sich aber auch richtig einfühlen: Es entdeckt ein kaputtes, wunderschönes Spielzeug neben einer traurig aussehenden Person und beginnt sich hineinzufühlen, wie es sich selbst fühlen würde, wenn das Lieblingsspielzeug kaputtginge. Über das Verständnis kann es auch sein Mitgefühl ausdrücken.
Egal welcher Weg eingeschlagen wird – ob über den Kopf oder das Einfühlen: Für das Lernen ist es hilfreich, wenn Erwachsene ihre Beobachtungen aussprechen, Gesichter und Situationen beschreiben, Gefühle benennen. Dafür braucht es nicht immer echte Situationen: Auch über Bücher oder Zeitschriften kann man mit Kindern ins Gespräch kommen. In diesen Momenten sind Kinder meist entspannt und können sich spielerisch herantasten. Sie genießen die Zeit mit ihrer Bezugsperson und dürfen auch Fehler machen.
Mit zunehmendem Alter bietet es sich an, Rückfragen zu stellen: „Wie würdest du dich fühlen?“ Am besten nutzt man auch hier entspannte Situationen, beim Vorlesen, beim Familienessen oder im Spiel. Kinder können dann verschiedene Sichtweisen schildern – ohne dass dies gleich Konsequenzen hat. Besonders im Grundschulalter lieben viele Kinder auch Rollenspiele – das beste Training für Perspektivwechsel und damit für echte Empathie.
Und die Mühe lohnt sich: Eine ganz aktuelle Studie zeigt, dass Kinder, die mit 13 Jahren für ihren besten Freund eine gute Unterstützung bei Problemen sein können, auch mit 30 Jahren sozial kompetenter sind.
Paulus, M. (2014), The Emergence of Prosocial Behavior: Why Do Infants and Toddlers Help, Comfort, and Share?. Child Dev Perspect, 8: 77-81.
Becher, T., Essler, S., Pletti, C., & Paulus, M. (2022). Compliance or empathy-What links maternal sensitivity and toddlers' emotional helping?. Journal of Experimental Child Psychology, 226, 105547-105547.
Allen, J. P., Costello, M. A., Hellwig, A. F., Pettit, C., Stern, J. A., & Uchino, B. N. (2023). Adolescent caregiving success as a predictor of social functioning from ages 13 to 33. Child Development, 00, 1– 15.
Dr. Christine Heinisch, Psychologische Psychotherapeutin für Verhaltenstherapie und wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Entwicklungspsychologie der Friedrich-Alexander Universität Erlangen, setzt ihre Forschungsschwerpunkte auf Elternverhalten und die Auswirkungen auf die Gehirnentwicklung von Kindern. Ihr Wissen aus der Forschung bringt sie gern in der Praxis ein.
Mit Bildkarten Gefühle sortieren & ordnen: 9 kurze Geschichten helfen, Empathie bzw. Mitgefühl zu lernen. Für Kita, Grundschule oder als Therapiematerial.
Sophie
25.09.2023 12:24Uhr
Kinder zeigen von Natur aus prosoziales Verhalten, das sie etwa ab ihrem ersten Geburtstag entwickeln und mit zunehmendem Alter verfeinern. Betreuer sollten wachsam sein und nachfragen, wenn die prosozialen Tendenzen eines Kindes schwanken
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Sophie
25.09.2023 12:24Uhr
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