Kinderbibelgeschichten

Schöpfungsglaube und Evolution - ein Widerspruch?

Publiziert am 06.06.2017  von Esther Hebert

Inhalt

Schöpfung oder Evolutionslehre?
Die Hintergründe
Für die Praxis im Kindergarten

Die Kinderbibelgeschichte von der Erschaffung der Welt

Bibelstunde in einer konfessionellen Kita: Erzieherin Hanne erzählt den Kindern die Geschichte von der Erschaffung der Welt: „Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Noch war die Erde dunkel und ohne Leben. ... Am ersten Tag sprach Gott: Es werde Licht ...“ Dann erzählt Hanne die Geschichte weiter: Wie Gott den Himmel schuf, das Wasser, die Pflanzen, Sonne und die Sterne, die Fische und die Vögel, die Tiere des Landes und schließlich die Menschen. Die Geschichte ist gegliedert durch das Aufzählen von sieben Tagen: Gott schuf die Welt in sechs Tagen, am siebten ruhte er sich aus.
 

Warum diese Kinderbibelgeschichte wichtig ist

Hanne erzählt den Kindern die Geschichte, weil sie ein Kernstück des christlichen Glaubens ist. Sie ist auch Grundlage für die Überzeugung, dass die Natur wertvoll ist und mit ihr jeder Mensch: Denn Gott hat sie geschaffen. Die Menschen leben in und von der Natur, sie nehmen sie in Besitz und haben den Auftrag, diese Schöpfung zu achten und zu pflegen für sich und für die Nachwelt.
Hanne gefällt diese Geschichte gut, auch den Kindern gefällt sie gut: Sonne und Mond, die Tiere, die ersten Menschen – alles wird ordentlich aufgezählt. Aber Hanne weiß natürlich, dass die Erde und erst recht das Leben auf ihr nicht in sieben Tagen entstanden ist. Und auch das ein oder andere Kind wird beim Erzählen der Geschichte einwenden, dass das doch gar nicht stimmt: dass es unvorstellbar lange gedauert hat, bis die Menschen auf der Erde erschienen sind, dass erst die Dinosaurier da gewesen wären und überhaupt die Menschen von affenähnlichen Urmenschen abstammen. Was wird Hanne nun darauf erwidern? Sie ist selbst unsicher: Irgendwie denkt sie, dass die Schreiber der Bibel eben noch nicht gewusst hätten, wie die Welt entstanden ist und einfach alles so aufgeschrieben hätten nach dem damaligen Kenntnisstand. Und heute, wo wir über die Mechanismen der Evolution Bescheid wissen und in Naturkundemuseen versteinerte Dino-Skelette und Neandertaler-Nachbildungen bewundern können, kommt ihr und vielen anderen womöglich der Glaube an diesen Schöpfergott fragwürdig und die Schöpfungserzählung bestenfalls malerisch vor – ein Mythos, eine Art von Märchen, wie wir und die Kinder sie lieben.
Abb. aus "Die Schöpfungsgeschichte", EAN: 426017951 043 4, Kamishibai-Bildkartenset
 

Wie bekommt man biblischen Schöpfungsglauben und Naturwissenschaft unter einen Hut?

Wie soll man also im Kindergarten argumentieren, wenn an einem Tag Schöpfungsgeschichten erzählt und wenige Zeit später mit den Kindern Sachgeschichten von Urmenschen oder Dinosauriern angeschaut und besprochen werden? Und wo liegt eigentlich das Problem? Dazu muss man wissen, dass der Glaube an einen Schöpfer grundlegend für den christlichen Glauben ist. Es ist der Kern nicht nur des Christentums (und auch des Judentums und des Islam), dass die Welt von Gott geschaffen ist und von Gott in jeder Sekunde am Leben erhalten wird. Doch bei vielen Menschen geriet dieser Glaube ins Wanken, weil sie durch zunehmendes naturwissenschaftliches Wissen ihren Kinderglauben aufgeben mussten: Gott saß nicht einst am Strand und baute eigenhändig Fische, Vögel und Menschen wie ein Töpfer seine Gefäße aus Lehm töpfert. Eine neue Deutung des Schöpfungsglaubens schien aber nicht in Sicht. Auch unzählige Naturwissenschaftler haben durch den Fortschritt der Naturwissenschaft den Schöpfergott als verzichtbar gehalten: Damals wäre das eben wichtig gewesen als Erklärung, weil die Wissenschaft für viele Phänomene keine Erklärung gehabt hätte. Heute gibt es diese Erklärung, deshalb ist ein Schöpfergott überflüssig geworden. Besonders in unserer Zeit, in der sich die Geschwindigkeit von Wissenzuwachs ständig erhöht und Erkenntnisse in Medizin, Biologie, Genetik und Astronomie staunen lassen, glauben wir gern, dass das Ganze wirklich ohne Gott zuging.

Bizarr muten uns in Mitteleuropa dagegen die Theorien und Erklärungen der Kreationisten an, die im Gegenzug alles versuchen, um die Vertreter der modernen Evolutionstheorie und Naturwissenschaft zu widerlegen und ihre Lehre von der Schöpfung in sechs Tagen (oder sechstausend Jahren) notfalls mit Zwang (z.B. in diversen Schulbüchern einiger Bundesstaaten in den USA) durchzusetzen.
 

Die Schöpfungserzählungen sind keine Erklärungen oder Berichte – sie sind ein Manifest

Dabei basiert dieser Streit Naturwissenschaft/Evolutionstheorie gegen (Schöpfungs-)Glaube auf einem Missverständnis:

Die erste, bekannteste, Schöpfungserzählung der Bibel behauptet gar nicht, dass die Welt in sechs Tagen erschaffen wurde – sie ist überhaupt kein Bericht, sondern eher ein Lied in sieben Strophen. (Tatsächlich ist erwiesen, dass das 7-Tagesschema erst später über den Text gelegt wurde, und zwar um auf den Sabbat, den siebten Tag, hinzuführen als den Tag, den Gott gesegnet hat, sozusagen als Krone der Schöpfung.) Vielmehr wird in dieser Erzählung die Fülle der Schöpfung beschrieben, die Gott geschaffen hat. Und dieser ersten Schöpfungserzählung folgt gleich ein zweiter Text, der andere Aspekte beschreibt. Schließlich gibt es weitere Erzählungen oder Bezüge auf die Schöpfung Gottes, z.B. in den Psalmen, die auf ihre eigene Art die Schöpfung und den Schöpfer beschreiben. Es gibt also bereits in der Bibel selbst viel Interpretation der Schöpfung und Gottes als Schöpfer. Alle beschreiben sie Gott als Schöpfer der Welt, aber an keiner Stelle wird gesagt, wie das tatsächlich genau zugegangen ist. Es geht um das „Warum“ und das „Dass“ der Schöpfung, nicht aber um das „Wie“. Das "Wie" ist Feld der empirischen Naturwissenschaft, die ehrlicherweise keine Aussage machen kann über das "Warum" oder den Sinn des Ganzen.

In Zeiten, in denen Glaubensvertreter aus den Schöpfungstexten Aussagen über das „Wie“ machten, haben sie Gott zum „Uhrmacher“ oder zum „Lückenbüßer“ für ungelöste naturwissenschaftliche Fragen gemacht. Kein Wunder, dass sich dieser Gott mit zunehmenden wissenschaftlichen Erkenntnissen in Luft aufgelöst hat.
Abb. aus "Die Schöpfungsgeschichte", EAN: 426017951 043 4, Kamishibai-Bildkartenset
 

Der unendliche Bereich der Naturwissenschaft

Die Naturwissenschaft beschreibt das „Wie“: Wie funktioniert die Evolution, was zeigt uns die Genetik, was erklären die Neurowissenschaften? Was geschah beim Urknall und wie ist das Universum entstanden und wie entwickelt es sich weiter? Dazu gehört auch, dass all dies seine Eigendynamik hat und Evolution nicht abgeschlossen ist, sondern weiterhin andauert, Zufälle miteingeschlossen, die von uns als Fehlentwicklung oder negativ interpretiert werden.

Diese Fragen und Erkenntnisse beziehen sich aber nie auf die Fragen, warum es so ist und welchen Sinn das Ganze haben soll. Eine Antwort auf diese Fragen geben Weltanschauungen, Philosophen und eben in unserem Fall der Glaube.
Abb. aus "Sonne, Mond und Erde", EAN: 426017951 417 3, Kamishibai-Bildkartenset
 

Von der Schöpfung im Kindergarten erzählen

Bleibt die Frage, wie ich im Kindergarten damit umgehen soll, wenn ich von der Schöpfung bzw. der Erschaffung der Welt erzähle. Wichtig ist, dass bei den Kindern nicht der Eindruck erweckt wird, dass die Welt in sieben Tagen entstanden ist. Andere Schöpfungserzählungen ebenfalls zu erzählen, kann dies unterstützen: Ergänzende Psalmtexte, z.B. Psalm 8 oder 104 oder 139 oder auch der Sonnengesang des Franz von Assisi machen deutlich, worauf es beim Schöpfungsglauben ankommt:

  1. Gott ist der Ursprung von allem Leben.

  2. Schöpfung ist nicht vorbei. Schöpfung geschieht jetzt, in diesem Augenblick.

  3. Welt und Natur sind wertvoll und von Gott gewollt. Sie werden von Gott im Leben gehalten.

  4. Schöpfung ist nicht „vorprogrammiert“, sie geschieht nach den hochkomplexen Mechanismen der Natur, „Fehlentwicklungen“ und „schreckliche“ Phänomene mit eingeschlossen.

  5. Der Mensch darf sich als gewollt, gewünscht und gebraucht sehen, selbst wenn er zufällig entstanden ist.

  6. Auch wenn die Natur oder die Entwicklung des Menschen nach ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten ablaufen und es oft nicht zu sehen ist, ob etwas zufällig oder mit bestimmten Zweck geschieht, haben Menschen die Freiheit, Sinn darin zu entdecken, und die Freiheit, die Welt zu gestalten.

Die Themen Schöpfung und Evolution bieten sich zu machen Zeiten besonders an: zu Pfingsten (der Geist Gottes als der "Motor", der die Schöpfung am Laufen hält), im Sommer oder zum Namenstag des heiligen Franziskus (4. Oktober). Im Sinne einer alltagsintegrierten religiösen Bildung kann das Thema bei denjenigen naturwissenschaftlichen Sachthemen eine Rolle spielen, wo Fragen nach dem "Warum" auftauchen (... der Dinos, ... des Urknalls, ... der Naturkatastrophen, ... der "bösen" Menschen) und offen miteinander besprochen werden.


Lesetipp für die, die's genau wissen wollen: Hans Kessler: Evolution und Schöpfung in neuer Sicht. Topos premium, Butzon und Bercker GmbH, Kevelaer 5. Aufl. 2017

Ein interessanter Artikel zum Thema ist in der Süddeutschen Zeitung erschienen.

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