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Religionsunterricht - eine Schatzsuche

Publiziert am 25.08.2020  von Melanie Jacobi

Auf und Ab im Schulalltag

Meine Schüler lieben Reli! Ehrlich. Kaum hat es zur Stunde geklingelt und ich komme in den Klassenraum, sitzen sie bereits auf ihren Plätzen, ganz leise und erwartungsvoll. Meist schon zwei Minuten vor der Zeit. Vor ihnen liegen ihre Relimappen, weiß, vollständig, mit liebevoll und sorgfältig ausgefüllten Arbeitsblättern, einem schön bemalten Deckblatt und korrekt geführtem Inhaltsverzeichnis. Erwartungsvoll blicken meine Schüler mich an. Sie begrüßen mich mit einem herzlichen „Guten Morgen, schön, dass Sie da sind!“. Sie freuen sich auf den Unterricht und sind gespannt, welche Themen und Methoden heute auf sie warten. Und sie kennen sich aus in Sachen Reli. Alle haben das Fach von Kindheit an in der Schule gehabt. Und überhaupt: Auch zuhause wird mal über Gott gesprochen. Und ich? Ich bin glücklich, komme gut klar mit den Kleinen und Großen, kann mich kreativ so richtig ausleben und meiner Bestimmung folgen: Religion unterrichten! So weit der Traum ...

Und nun zur Realität: Während ich mir meinen Weg zum Klassenraum bahne, mich an Schülergruppen vorbeiquetsche und noch schnell Jasper und Andreas ermahne, einander nicht gegenseitig die Treppe runterzuschubsen und Saskia bitte, ihren gerade abgefeuerten Müll aufzuheben, frage ich mich, was mich heute in Jahrgang 8 erwartet. 31 Schüler aus verschiedenen Klassen und Schulzweigen. Alles meine. Zwei Muslime, 12 Katholiken, 12 Protestanten und 5 Nicht-Getaufte. Wir kennen uns schon seit einem Jahr; es ist unser zweites gemeinsames Schuljahr. Ich komme ein, zwei Minuten zu früh an. Und klar, es ist noch niemand da. Erst ganz langsam trudeln sie ein. Müde, lautstark, etwas lustlos. Einige kommen garantiert zu spät. Der Bus. Oder Verschlafen. Oder noch kurz was geklärt. Ich sortiere mein Material und möchte anfangen. Aber erst möchte Lisa klären, ob sie sich noch rasch zu Tina setzen kann, nur mal heute, weil die doch sonst alleine sitzt. Ben, Markus, Inga und Svenja teilen mit, dass sie ihre Mappen vergessen haben. Die anderen, für die das ebenso gilt, schweigen. Lasse und Chantal machen Grunzgeräusche, einfach so, weil die Pubertät Einzug gehalten hat. Im weiteren Verlauf der Stunde wird der Beamer spinnen und meine Filmsequenz nicht einspielen wollen, ich werde 10 Ermahnungen wegen anhaltender Unterhaltungen aussprechen und dazwischen versuchen, von Gott zu erzählen. Willkommen in meinem Alltag!

Das Fundament

Natürlich gibt es ein "Dazwischen" zwischen der ersten und der zweiten beschriebenen Schulsituation. Ich kenne beide. Es sind Extreme, die von Schulform, Alter der Schüler, eigener Tagesform und geografischer Lage der Schule abhängig sind und diese sind variabel. Jeder Unterricht, auch der Religionsunterricht, kann so bunt und unterschiedlich sein wie die Blumen auf einer Sommerwiese. So bunt und unterschiedlich wie die Menschen, die ihn erteilen. Den einen Religionsunterricht und den typischen Religionslehrer gibt es nicht. Doch es gibt ein gemeinsames Fundament. Wir Religionslehrer glauben, dass es einen Gott gibt, der es wert ist, von ihm zu erzählen. Denn dieser Gott verspricht uns, immer an unserer Seite zu sein, auch dann, wenn es uns schlecht geht, und für uns zu sorgen. Wir glauben an christliche Werte, die eine tolle Lebensphilosophie und Haltung sein können, selbst für jene, die nicht an Gott glauben.

Die tragfähigen Werte

In diesen Werten lassen sich für uns Gottes Eigenschaften, sein Wesen und seine Wünsche an uns festmachen. Auf ihrem Hintergrund lassen sich viele gesellschaftliche Themen und Probleme beleuchten und hinterfragen. Diese Werte auf dem Hintergrund unseres Glaubens versuchen wir im Unterricht zu vermitteln und anzuwenden. Dabei können die Themen und Methoden ganz unterschiedlich sein. Der Kern bleibt. Ich finde, Religionsunterricht darf dabei auch kritisch sein: zum Beispiel gegenüber Politik, Gesellschaft und Medien und auch der Institution Kirche gegenüber mit ihren Strukturen, dem Bodenpersonal, den Lehren und ihrer Geschichte.

Das Angebot

Aus meiner Sicht ist Religionsunterricht ein Angebot an Schülerinnen und Schüler, ihr Leben und aktuelle Themen aus einem bestimmten Blickwinkel zu betrachten: der Perspektive und dem Werteangebot des christlichen Glaubens. Ich bin nicht böse und nehme es ihnen nicht persönlich übel, wenn sie mit Kirche und Glaube nichts anfangen können. Niemand bekommt eine 1, weil er mir mehrfach im Unterricht versichert, dass er jeden Abend betet. Ebenso wie niemand eine 6 bekommt, weil er sagt, dass er nicht an Gott glaubt. Aber ich erwarte eine ernsthafte Auseinandersetzung, eine persönliche Meinungsbildung und ein Einlassen auf das, was da im Angebot ist.

Der Schatz

Ich glaube, dass im Religionsunterricht ein großer Schatz verborgen liegt. Ein Schatz an Themen und kreativen Gestaltungsmöglichkeiten. Eine Chance, Kinder und Jugendliche einzuladen, sich mit sich selbst und ihren Glaubens- und Lebensfragen auseinanderzusetzen. Damit ist er auch ein Ort der persönlichen Weiterentwicklung. Im Religionsunterricht kann der kritische Blick geschärft werden für das Für und Wider menschlichen Verhaltens und ethischer Probleme, was ein wichtiger Baustein der Persönlichkeitsbildung ist. Der Horizont wird erweitert für die anderen, die manchmal fremd anmutenden Religionen, die ebenso zu unserem Leben dazugehören und uns tagtäglich auf der Straße und in den Medien begegnen. Für mich geht es im Religionsunterricht um mehr als Noten und Leistungsdruck. So ist die Unterrichtszeit auch ein Ort, um innezuhalten und durchzuatmen zwischen Mathe, Deutsch und Englisch. Trotzdem ist Religion viel mehr als das manchmal auch belächelte Fach, in dem man Gerüchten zufolge ausschließlich Mandalas anmalt und Bibelkuchen backt. Religion hat durchaus Substanz.

Die Schatzsuche

Zurück im Unterricht: Es war eine anstrengende Stunde. Viele haben gut mitgemacht. Die Jungs aus der letzten Reihe aber waren wieder einmal ziemlich unruhig. An die Hausaufgaben hatte kaum jemand gedacht. Und dazwischen hatte Julius noch Bauchweh, was in letzter Zeit öfter passiert. Ich nehme mir vor, ihn nachher mal anzusprechen. Ich sammle meine liebevoll vorbereiteten Arbeitsblätter zusammen. Davon haben wir viele, denn ein Religionsbuch gibt es an unserer Schule nicht. Irgendwie habe ich heute nur die Hälfte geschafft. Während ich in Gedanken versunken bin, kommt Elias zu mir, einer der Jungs aus der letzten Reihe. „Tschüss, Frau Jacobi, ich freue mich schon auf nächste Woche!“. Ich lächele. Vielleicht sind wir Religionslehrer selbst ein Schatz, wenn wir manchmal etwas mehr Geduld und Güte aufbringen, als unser Gegenüber verdient hat, wenn wir einen Blick für die Sorgen und Nöte der Klasse haben und wenn wir die Werte, die wir vermitteln wollen, auch in unser eigenes Auftreten legen. Das gelingt mir nicht immer. Manchmal platzt mir einfach der Kragen. Aber Schätze sind ja vor allem dann spannend, wenn sie noch gehoben und entdeckt werden müssen. Vielleicht ist jedes neue Schuljahr eine kleine Schatzsuche – im Unterricht und in mir selbst.

Melanie Jacobi, Religionspädagogin, unterrichtet Religion an einer Gesamtschule im Raum Osnabrück und Autorin der "Schatzkarten für Religionslehrer*innen"

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