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Klischee „Jungs lesen nicht“ – ist spezielle Leseförderung für Jungs nötig?

Publiziert am 05.07.2022  von Marsha Kömpel

Leseförderung für Jungen?

Jungs lesen nicht gern. Jedenfalls greifen sie weniger zu Büchern als Mädchen. Das haben wissenschaftliche Studien herausgefunden und noch mehr: Schreiben können Jungs auch nicht so gut. Sie sind sogar häufiger als Schülerinnen von Lese-Rechtschreib-Schwäche betroffen.
Ein Klischee, dem ich selbst nicht ganz widersprechen kann. Zumindest wenn ich meinen großen Sohn anschaue und sein Leseverhalten mit meinem vergleiche. Während ich ein Buch nach dem anderen wegschmökere, verschmäht er die tollsten Kinderbücher. Dabei haben wir Eltern doch Leseförderung wie aus dem Bilderbuch betrieben. Wie kann man Jungs also noch zum Lesen motivieren? Und was zählt eigentlich zum Lesen? Muss es immer die große Kinderbuchliteratur sein oder gibt es auch andere Lesevergnügen, die am Ende den gleichen Zweck erfüllen?

Das erste Date mit Büchern: Vorlesen ist alles!

Wir Eltern haben schon früh angefangen, beiden Kindern vorzulesen. Vorlesen ist meine Leidenschaft. So richtig mit verstellten Stimmen, eben das ganze Programm. Anfangs habe nur ich unserem Erstgeborenen vorgelesen, mit dem zweiten Kind hatte dann auch der Papa seine großen Vorleseauftritte. Wir wechselten uns ab. Vor allem der große Sohn liebte diese abendlichen Rituale, während der kleine Bruder dann doch oft lieber schlafen wollte und auch mal eine Lesestunde ausließ.
Wir lasen uns durch Bilderbücher, Märchengeschichten und recht früh sogar durch anspruchsvollere und seitenstarke Kinderbücher, meist 2-3 Jahre über dem empfohlenen Alter. In der Grundschule zeigte sich schnell: Das viele Vorlesen hat sich bewährt. Die Lehrer:innen feierten nicht nur die ersten Lesefortschritte, sondern auch Textverständnis und die Konzentration bei Textaufgaben.
Aber selbst lesen, das mag der mittlerweile 11-Jährige immer noch nicht so gerne. Und wenn, dann „nur“ Comics, Sachbücher oder die Schullektüren. Während sein bester Freund bei mir die 500-Seiten-Schinken ausleiht und sogar schon Herr der Ringe durchhat. Ob dessen Eltern auch so viel vorgelesen haben? Das weiß ich leider nicht.

Jedes Kind hat einen eigenen Lesegeschmack

Ich weiß nur, dass unser Lesegeschmack verschieden ist. Das hat sich schon während unserer Vorlesezeit herausgestellt. Während ich Fantasy und abgedrehte Geschichten liebe, muss beim Sohn die Handlung im Hier und Jetzt spielen. Alles andere findet er unrealistisch. Dicke Bücher überfordern ihn direkt, wenn er die vielen Seiten nur sieht. Und generell liest er nur, wenn es einem Zweck dient: Sachbücher, um sich Wissen anzueignen, das ihn wirklich interessiert. Oder die Bücher, die als Schullektüre im Unterricht behandelt werden, die er lesen muss, um eine gute Note zu bekommen. Lesen als Unterhaltung ist dagegen nicht so sein Ding. Und wenn, dann eben am liebsten Comics. Das geht schnell und es gibt viele Bilder zu betrachten. Dickere Bücher hört er sich lieber als Hörbuch an, so wie Oskar und die Tieferschatten. Das kennt er mittlerweile auswendig.
Der zweite Sohn, also der, der abends oft zu müde zum Vorlesen ist, ist dagegen ganz anders. Er greift mit viel Lust nach den ersten Büchern und liest sie in einem Rutsch durch. Er liebt vor allem Tiergeschichten, aber auch Comics aus der Minecraft und Fantasy-Welt. Dabei ist er erst in der ersten Klasse und hat mittlerweile fast schon so viele Bücher alleine gelesen, wie sein 4 Jahre älterer Bruder. Natürlich ganz einfache, die seinem Lesealter entsprechen. Aber immerhin.
Beide Jungs lesen – jeder auf seine eigene Art und seinem eigenen Interesse nach. Auch wenn dies eben nicht meinem Leseverhalten entspricht. Doch was kann man tun, um Anreize bei lesemuffeligen Jungs (und Mädchen) zu setzen? Und welche Lesealternativen gibt es?

10 Tipps, um Jungs (und Mädchen) zum Lesen zu motivieren

  1. Am besten lange Zeit vorlesen, so lange, wie es das Kind einfordert. Auch noch bis weit ins Grundschulalter hinein. Für viele Eltern ist das Kapitel Vorlesen bereits spätestens in der 2. Klasse abgeschlossen. Doch es dauert, bis sich die Lesekompetenz entwickelt haben und die Bücher angegangen werden können, die das Kind wirklich interessieren. Ein schöner Nebeneffekt: Das gemeinsame Vorlesen stärkt nicht nur die Eltern-Kind-Bindung, sondern gibt auch Gelegenheit, über verschiedenen Themen zu sprechen, die im Alltag bewegen.
  2. Was im Bilderbuchalter mit verstellten Stimmen gelesen wurde, kann bei Leseanfängern nun mit verteilten Rollen gemacht werden. Einfach mal das eigene Kind mitlesen lassen.
  3. Bei einigen Kinder wird dagegen überhaupt nicht zuhause gelesen. Es ist daher wichtig, dass es auch innerhalb des Kindergartens und der Schule Angebote gibt. Wie beispielsweise per Kamishibai, Bilderbuchkino oder in Form von Geschichten, die abwechselnd gelesen werden. Sogar in der 12. Klasse habe ich es genossen, wenn unser Lehrer uns zur Belohnung eine Kurzgeschichte vorgelesen hat. Dazu sind Leseecken und Schulbüchereien eine tolle Gelegenheit, um verschiedene Buch-Angebote kennenzulernen. Oder wie wäre es mit einem Vorlesewettbewerb oder einer kleinen Präsentation des Lieblingsbuches?
  4. Nur Themen und Bücher vorlesen, gemeinsam lesen oder anbieten, die das Kind interessieren. Einfach mal nachfragen. Von beliebten Games und Helden aus dem TV über Detektivgeschichten bis hin zu Sport und Abenteuer: Für jedes Kind gibt es das passende Buch!
  5. Die Lesehäppchen bzw. den Seitenumfang der Bücher nur langsam steigern. Je dünner das Buch, desto schneller der Leseerfolg („Ich habe ein ganzes Buch gelesen!“)
  6. Manchmal hilft auch spielerische Motivation, z.B. durch das Punktesammeln bei Antolin. Vor allem, wenn man sich mit anderen Kindern aus der Klasse vergleichen möchte.
  7. Sich davon verabschieden, dass es immer pädagogisch wertvolle Bücher sein müssen. Lesen ist Lesen. Comics und Mangas sind ok. Wirklich! Mittlerweile gibt es auch beliebte Buchreihen, wie „Das magische Baumhaus“, „Rico & Oskar“, oder Biographien wie „Anne Frank“ als Comics.
  8. Interesse und eigene Lesekompetenz liegen oft auseinander. Manchmal sind Lesestarter Bücher inhaltlich zu langweilig, während altersgerechte Bücher noch überfordern. Mit „einfach lesbaren“ Titel fahren Leseanfänger und Lesemuffel gut. Es gibt viele tolle textreduzierte Angebote, die für Kinder zwischen 9 und 13 Jahren empfohlen sind.
  9. Charaktere sind verschieden. Es gibt Menschen, die einfach nicht gerne Bücher zur Unterhaltung lesen. Damit muss man sich abfinden. Aber was ist mit Zeitschriften, Detektivgeschichten zum Miträtseln oder textlastigen Konsole- oder Brett-Spielen, bei denen man Dialoge lesen muss oder Quiz Fragen beantwortet werden wollen? Alternative Leseangebote können durchaus auch ihren Zweck – nämlich den der Lesekompetenz, der Rechtschreibung und dem Textverständnis - erfüllen.
  10. Wenn Jungs an Sachwissen interessiert sind, kann ein gutes Sachbuch auch Mal von vorne bis hinten durchgelesen werden. Falls das der Fall ist, können sicherlich auch erzählende Sachbücher punkten. Hier gibt es mittlerweile tolle Reihen, wie zB. archäologischen Geschichten oder Reiseabenteuer.

Ich hoffe, meine Tipps konnten helfen, das Lesen nicht nur auf dicke Kinderbücher zu reduzieren. Wenn ein Kind mehr Freude am Studieren einer Kinderzeitschrift hat, das ist das ein gleichwertiger Erfolg! Wer weiß, vielleicht muss die Lust aufs Buch erst noch etwas reifen!
Und weil ich jetzt so viel über uns und das Leseverhalten meiner Jungs nachgedacht habe, habe ich gleich den neuesten Band unserer Lieblingsbuchreihe „Luzifer junior“ bestellt! Den lese ich beiden Jungs vor – zusammen!

Zur Autorin

Marsha Kömpel ist Online-Journalistin, Autorin und arbeitet im Buchmarketing. Wenn sie nicht gerade liest oder vorliest, empfiehlt sie auf ihrem Blog mutterundsoehnchen.com Kinder- und Jugendbücher.

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